Die Irren-Offensive Nr.8 - 4/99

Pressereaktionen:

 

Der Tagesspiegel, Nr. 16 544, S. 14
Freitag, 11. Dezember 1998

Bonhoeffer-Klinik will Namen behalten

Kritik an Gutachten in der NS-Zeit


BERLIN (bk). Die Leitung der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik sieht keinen Anlaß, den Namen der Heilstätte in Wittenau zu ändern. Aus Anlaß des 50. Jahrestags der UN-Menschenrechtserklärung hatten Mitglieder des Landesverbands "Psychiatrie-Erfahrener" eine Narnensänderung gefordert, weil der Psychiater Bonhoeffer (1868-1948) als Gutachter für den Erbgesundheitsgerichtshof in der Nazizeit tätig war und Zwangssterilisationen zu verantworten habe.

Um ihrem Begehren Nachdruck zu verleihen, entwendeten Vereinsaktivisten jetzt eine Bronzebüste Bonhoeffers (Vater des Theologen Dietrich Bonhoeffer) aus dem Klinikpark und nannten die Heilstätte symbolisch in "Lady-Diana-Clinic" um. Die Kinikleitung betonte auf Nachfrage, sich intensiv mit medizinischen Verbrechen der NS-Zeit befaßt zu haben und dies auch weiterhin tun zu wollen. Es gebe etwa eine Dauerausstellung Totgeschwiegen. Die Senatsgesundheitsbehörde sieht sich nicht in der Lage, die Rolle Bonhoeffers in der NS-Zeit "abschließend zu bewerten". Seit 1957 ist die Klinik nach Bonhoeffer benannt.

 


 

Berliner Zeitung - Donnerstag, 10. Dezember 1998, Seite 2

Ex-Patienten entwenden Bonhoeffer-Büste

Nervenklinik stellte Anzeige


Mit der symbolischen Umbenennung der Berliner Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in "LadyDiana-Clinic" haben Psychiatriegegner und ehemalige Patienten am Mittwoch gegen "Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung" protestiert. Sie haben unter anderem die Büste des Nervenarztes Karl Bonhoeffer aus dem Park der K1inik entwendet sowie den Namenszug am Klinikeingang, sagte die Sprecherin der Kinikleitung, Christina Härtel: "Der Vorgang ist bizarr."

Es wurde Anzeige erstattet. Nach langer Diskussion über Bonhoeffers Biografie habe sich die Klinik Anfang der Neunziger entschlossen, den Namen beizubehalten. Die Befürworter der Umbenennung verweisen unter anderem auf die gutachterliche Tätigkeit Karl Bonhoeffers, Vater von Dietrich Bonhoeffer, in der Zeit des NS-Regimes für den Erbgesundheitsberichtshof.


 

BZ - Donnerstag, 10. Dezember 1998, S. 19

Aktuell aus Berlin

"Diana"-Protest

Berlin - Weil sie auch psychisch krank war (Selbstmordversuche, Magersucht) und trotzdem nicht in der Psychiatrie landete, haben ehemalige Patienten die "Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik" in "Lady Diana Clinic" umbenannt. Sie wollten damit gegen "menschenverachtende Zwangsbehandlungen" protestieren.

Protestschild (li.), geklaut: die Büste von Bonhoeffer

Fotos: spikermann


Scheinschlag Nr. 4/1999
LKA sucht Bonhoeffers Kopf
Bonnys Ranch in Lady-Di-Klinik umbenannt

Ende März durchsuchten Beamte des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) das Werner-Fuß-Zentrums in Friedrichshain, in dem sich die Büroräume verschiedener psychiatriekritischer Verbände befinden. Die Wohn- und Arbeitsräume des Sprechers der PsychiatriekritikerInnen René Talbot standen ebenfalls auf der Durchsuchungsliste. Aus seiner Wohnung wurden Disketten, Adreßbücher und privater Schriftverkehr beschlagnahmt. Grundlage ist ein am 28.12.98 ausgestellter Durchsuchungsbefehl. Wegen Gefahr im Verzuge durchsuchte das LKA noch zwei weitere Wohnungen ohne richterliche Anordnung.

Talbot wird vom Amtsgericht für den Diebstahl von Büste und Porträtbild des Psychiaters und langjährigen Charité-Chefarztes Karl Bonhoeffer verantwortlich gemacht. Nach einer Aktion von PsychiatriekritikerInnen am 2.10.98 vermißt die Charité diese Utensilien. Die Proteste richteten sich gegen den Bonhoeffer-Gedenksaal in der Charité. Der Raum wurde in Gerd-Postel-Saal umgenannt. Gerd Postel praktizierte jahrelang als Arzt und arbeitete als Gerichtsgutachter ohne je ein Medizinstudium aufgenommen zu haben. Für die PsychiatriekritikerInnen ist er ein geeigneter Namensgeber, zumal viele seiner ehemaligen PatientInnen vor Gericht bezeugten, daß er ihnen nie geschadet hat. Das kann von Karl Bonhoeffer wahrscheinlich nicht behauptet werden.

Medizinhistorische Forschungen belegen, daß er während der Nazizeit als Gutachter und Richter am Erbgesundheitsobergericht an mindestens 55 Sterilisationsverfahren mitgewirkt hat, die in 26 Fällen nachweislich zur Zwangssterilisation führten. Nach Angaben des englischen Historikers Henry Friedländer verhinderte er noch nach seiner Pensionierung 1938 als Gutachter die Ehe einer angeblich an Schizophrenie erkrankten Frau, die schon sechs Jahre zuvor sterilisiert worden war. Schon 1923 sprach sich Bonhoeffer in einer Studie für Zwangssterilisationen aus, wenn "die Gefahr einer Fortpflanzung dieser Individuen tatsächlich besteht." Auf eine Kleine Anfrage des bündnisgrünen Abgeordneten Dietmar Volk bestätigte die Berliner Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) im August 1998 die Vorwürfe gegen Bonhoeffer. Volk bereitet mit seiner Fraktion zur Zeit einen Gesetzentwurf zur Umbenennung der Karl Bonhoeffer Kliniken vor.

Am 9.12.98 haben PsychiatriekritikerInnen schon zur Selbsthilfe gegriffen und die Klinik symbolisch nach Lady-Di benannt. Ein Fingerzeig auf die Tatsache, daß Lady Di trotz mehrerer Selbstmordversuche und schwerer Magersucht nie in einer Klinik landete.

In den ehemaligen Wittenauer Kliniken, die seinen Namen seit 1957 tragen, wurde der 78jährige Bonhoeffer 1948 zum Dirigierenden Arzt ernannt. Die Sprecherin der Klinikleitung, Christiane Härtel, sieht für eine Namensänderung keinen Grund. Man habe sich klinikintern schon vor 10 Jahren mit Bonhoeffer beschäftigt, sei zu einer abschließenden Bewertung seiner Persönlichkeit aber immer noch nicht in der Lage.

René Talbot wirft der Klinikleitung einen heuchlerischen Umgang mit der Vergangenheit vor. Die wollen das Gedenken großzügig auf Opfer und Täter gleichermaßen ausdehnen. Das demonstrieren sie hervorragend auf dem eigenen Grundstück. Vor dem Klinikeingang wird auf einer Tafel an die tausenden PatientInnen erinnert, die in den Wittenauer Heilstätten zwischen 1934 - 1945 zu Opfern nationalsozialistischer Verbrechen wurden. Nur 50 Meter neben der Tafel für die Euthanasieopfer wird auf einen Grabstein im Klinikpark "unseren in den Kriegen gefallenen Kollegen" gedacht. Ein Hinweis, daß das Euthanasieprogramm nur weitergehen konnte, so lange die Front stand, fehlt natürlich.
Peter Nowak

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