Die Irren-Offensive Nr. 10

Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.

i.A. für den BPE e.V. Vorstandsmitglied Brigitte Siebrasse

 

Offener Brief an:

Herrn Bundespräsident Johannes Rau

Herrn Bundeskanzler Gerhard Schröder

Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages
z.Hd. Herrn Kirschner
Platz der Republik
11011 Berlin

Bielefeld, 18. Mai 2001

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Rau,
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Schröder,
Sehr geehrte Damen und Herren vom Gesundheitsausschuß,

mit Bestürzung haben wir am 2. Mai d.J. zur Kenntnis genommen, daß in den ohnehin schon umstrittenen "Nationalen Ethikrat" im Kanzleramt, Herr Professor Peter Propping bestellt wurde. Die Interessenslage dieses Eugenik-Professors sind uns spätestens seit Oktober 1998 bekannt, als er den Weltkongreß Psychiatrischer Genetik nach Bonn holte und präsidierte.

Die mit dieser Interessenslage einhergehenden Praktiken sehen viele in unserem fast 800 Mitglieder starkem Verband bei einer Neo-Nazi-Eugenik angesiedelt. Entsprechend fiel 1998 auf der Mitgliederversammlung des BPE e.V. Beschluß fast einstimmig aus. (S.Anhang)

Wenn Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, also an dem Beschluß festhalten sollten, den "ehrgeizigen" Herrn Professor Peter Propping im "Nationalen Ethikrat" zu belassen bzw. zu der konstituierenden Sitzung einzuladen, so tun Sie das gegen den erklärten Willen derjenigen, die die "Früchte" seiner "Wissenschaft" zu spüren bekommen. Uns ist nicht bekannt, daß irgendein Betroffener einer gentechnischen Untersuchung durch den medizinischen Apparat von Herrn Professor Peter Propping zugestimmt hat. Wir müssen deshalb davon ausgehen, daß die Untersuchungsergebnisse seines Instituts durch Körperverletzung sowie einen Vorstoß gegen die informelle Selbstbestimmung zustande gekommen sind, die ja meist auch an Zwangseingewiesenen durch Zwangsbehandlung begangen werden. Bitte bedenken Sie, daß fast jeder in eine solche Situation geraten kann.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, wir wissen, daß unter Ihrer Verantwortung die psychiatrische Eugenik finanziell mit Mitteln des Landes NRW gefördert wurde. Uns ist allerdings auch bekannt, daß Sie am 27. Januar d.J. in Ihrer Rede anläßlich des Gedenktages der Befreiung von Auschwitz sehr kritische Worte gefunden haben. Sie sagten, daß nicht alles getan werden darf, was "Wissenschaft" vorgibt tun zu können.

Wir gehen davon aus, daß Sie dabei insbesondere die Verbrechen der deutschen Ärzte und insbesondere der Psychiater im Auge hatten, die 1939 den systematischen Gaskammer-Massenmord in den Psychiatrien praktizierten, der dann ab 1942 in den polnischen Vernichtungslagern zum millionenfachen Mord an den europäischen Juden, Sinti und Roma "weiterentwickelt" wurde - mit psychiatrischer Genetik als wissenschaftstheoretischer Prämisse.

Deshalb unsere Bitte: Tun Sie alles in Ihrer Macht stehende, um den Bundeskanzler davon zu überzeugen, daß er in diese Bestellung widerruft.

Wir werden diesen offenen Brief vorerst nur den in den "Nationalen Ethikrat" berufenen Mitgliedern und der vom Parlament berufenen zukommen lassen sowie den Fraktionsvorsitzenden des

Bundestages und der Ethikkommission beim Gesundheitsministerium.

Sollte allerdings bis Ende Juni 2001 die Bestellung des Herr Prof. Peter Propping nicht rückgängig gemacht worden sein, sehen wir uns gezwungen, die Medien breit zu informieren, damit unsere Empörung und Enttäuschung über diesen in unserer Sichtweise brachialen Rechtsruck der Regierung zur Diskussion gestellt werden kann.

Mit freundlichen Grüßen

(für den BPE-Vorstand: gez. Brigitte Siebrasse)


Anhang:

Erklärung des BPE zum 6th World Congress on Psychiatric Genetics vom 6.-10.10.1998 in Bonn:

- Mit der psychiatrischen Genetik begann die "Euthanasie".

- Wir sehen ähnliche Entwicklungen heute! Wir bezweifeln entschieden, daß diese Forschungen dem Wohle der Patienten dienen.

- Wir lehnen das biomedizinische Krankheitsmodell ab.

- Wir sehen die genetisch-psychiatrische Forschung als Teil des Genom-Projektes.

- Wir weisen darauf hin, daß das Genom-Projekt nebenher zur biologischen Waffenentwicklung genutzt wird. Ziel ist es dabei, Waffen zur selektiven Vernichtung bestimmter gentragender Bevölkerungsgruppen herzustellen.

- Wir fühlen uns dadurch bedroht, genau wie durch die zukünftigen eugenischen vorgeburtlichen Diagnostiken und Genmanipulationen. Wie lange dauert es noch bis sogenannte "Schizophreniegenträger" abgetrieben und Embryonen verändert werden!?

- Wir finden die psychiatrische Genetik abgründig, absurd und bösartig! Offensichtlich erleben Gentechnologie, Auslese und Ausmerzung eine Renaissance.

- Solche Kongresse müssen in Zukunft verhindert werden.

Die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener in Kassel am 26. 09.1998

HOME
Impressum